zum Hören gibt es den Text hier: https://youtu.be/0smH-utr2CI
Ein Paradoxon ist ein Phänomen, bei dem die logische Schlussfolgerung aus Voraussetzungen, die als gegeben angesehen werden zu einem Ergebnis führt, das Erwartungen oder Beobachtungen widerspricht. Anders gesagt: ein Paradoxon ist eine Schlussfolgerung, die absurd erscheint, aber auf eine relevante Begründung verweisen kann. Als Sonderfall vom Paradoxon abzugrenzen wäre die Antinomie: Hier negiert die Schlussfolgerung direkt eine seiner logischen Voraussetzungen, oder die Negation dieser Voraussetzungen führt in gleicher Weise zu ihrer eigenen Negation, es ist also ein rein logisches Paradoxon. Es ist nicht immer möglich, eine eindeutige Zuordnung von Paradoxa zu diesen Begriffen zu finden.
Es gibt verschiedene darüber hinaus gehende Klassifizierungen von Paradoxa in der Literatur. Nach Paul Watzlawick z.B. ist es zweckmäßig, logische, semantische und pragmatische Paradoxien zu unterscheiden, wobei eine scharfe Unterscheidung in vielen Fällen nicht möglich ist. Logische Paradoxien sind im Wesentlichen die bereits angeführten Antinomien. Semantische Paradoxien sind nach Watzlawick solche, bei denen der Wahrheitsgehalt sich auf Gegenstände und Sachverhalte der realen Welt beziehen. Semantische Paradoxien, die in Form von paradoxen Handlungsanweisungen auftreten, nennt Watzlawick ‚pragmatische‘ Paradoxien.
Schauen wir uns exemplarisch einige Paradoxien an, und beginnen wir dabei mit dem Paradoxon des Barbiers: Im Laden des Barbiers von Sevilla hängt ein Schild: Ich rasiere alle Männer von Sevilla, die sich nicht selbst rasieren. Der Barbier ist ein Mann. Wer rasiert nun den Barbier? Tut er es selbst, dann dürfte er es nicht tun, denn er rasiert ja nur die, die sich nicht selbst rasieren. Rasiert er sich aber nicht selbst, dann müsste er sich selbst rasieren. Es ist ein semantisches Paradoxon, da es sich auf Handlungen und Dinge der Wirklichkeit bezieht. Durch einen Kunstgriff machen wir ein pragmatisches Paradoxon daraus: Der Bürgermeister verpflichtet im Rahmen der Konzessionsvergabe für Barbierdienstleistungn den Barbier dazu, alle Männer von Sevilla zu rasieren, die sich nicht selbst rasieren. Damit haben wir eine Handlungsanweisung, die nicht erfüllbar ist – eine pragmatisches Paradoxie.
Eine auffällige Eigenschaft dieses Paradoxons ist die innewohnende Selbstbezüglichkeit: der Barbier, der die Männer von Sevilla rasiert, ist selbst aus Sevilla.
Die zweite typische (wenn auch nicht notwendige) Eigenschaft des Paradoxons ist, dass es eine Negation enthält: der Barbier tut mit jemandem etwas, was die, mit denen er es tut, selbst nicht tun. Wäre der Barbier aus einer Nachbarstadt, oder wäre der Barbier eine Frau, gäbe es kein Paradoxon. Wäre er aus Sevilla, aber rasierte er alle Männer, die sich selbst rasieren (keine Negation!), gäbe es ebenfalls kein Paradoxon.
Wenn in diesem Fall die Handlungsanweisung aus anderen Gründen nicht erfüllbar ist, zum Beispiel, weil es zu viele Männer gibt, die sich von ihm rasieren lassen wollen, wäre es dennoch inder Systematik von Watzlawick kein pragmatisches Paradox, denn die Handlungsanweisung selbst ist kein Paradox.
Dass die Kombination von Selbstbezüglichkeit und Negation gefährlich sein könnte, wird noch etwas deutlicher im Grelling-Nelsonschen Paradoxon: Man bezeichne alle Wörter der deutschen Sprache als autologisch, die die Eigenschaft haben, zu sein was sie bezeichnen. Beispiele für autologische Wörter: Substantiv, dreisilbig, autologisch, kurz. Es ist offensichtlich, dass jedes deutsche Wort entweder autologisch oder nicht autologisch ist.
Wir schaffen jetzt ein neues Wort, „heterologisch“, dessen Bedeutung die Verneinung von autologisch ist. Ist „heterologisch“ ein heterologisches oder autologisches Wort? Nach unserer Annahme muss es eins von beiden sein. Nehmen wir an, es sei autologisch, dann müsste es die Eigenschaft ‚heterologisch‘ haben, im Widerspruch zur Annahme. Nehmen wir an, es sei heterologisch, dann müsste es autologisch sein, denn es ist dann selbst, was es bezeichnet, ebenfalls im Widerspruch zur Annahme.
Hier gibt es wieder einige naheliegende Lösungsmöglichkeiten: Man könnte z.B. das Wort ‚heterologisch‘ strikt verbieten (‘nicht autologisch‘ tut ja denselben Zweck), oder man könnte verbieten, die deutsche Sprache sich selbst beschreiben zu lassen.
Oder man könnte Worte der Beschreibungssprache typologisch hervorheben – das funktioniert allerdings nur in der Schriftform.
In beiden Fällen lassen sich die Paradoxa durch konsequente Regulierungen vordergründig aus der Welt schaffen: Barbiere dürfen nicht in Sevilla wohnen, zur Beschreibung der deutschen Sprache verwende man eine andere Sprache.
Aber nicht alles, was sich Paradoxon nennt, muss einen Selbstbezug oder eine begriffliche Negation aufweisen.
Viele Paradoxa, die nicht logische Antinomien sind, wohl aber der Definition eines Paradoxons entsprechen, sind Widerlegungen gängiger (allerdings tief verinnerlichter oder unhinterfragter) Annahmen. Dies ist besonders in Naturwissenschaft und Technik der Fall.
Als Beispiel für ein erkenntnistheoretisches semantisches Paradoxon ist das Rabenparadoxon (auch Hempels Paradoxon, benannt nach Carl Gustav Hempel): Wir gehen dabei von folgenden Voraussetzungen aus:
Es ist möglich, durch Beobachtung Vermutungen über die Wirklichkeit graduell zu verifizieren, d.h. die Beobachtung eines Ereignisses, dessen Parameter den Erwartungen entsprechen, als Erkenntnisfortschritt zu interpretieren.
Nun beobachten wir Raben und stellen fest, dass alle Raben die wir bisher gesehen haben schwarz sind. Wir formulieren die Vermutung ‚Alle Raben sind schwarz‘. Ab jetzt wird jede Beobachtung eines schwarzen Raben als eine Bestätigung dieser Vermutung gewertet, d.h. mit jeder Beobachtung eines schwarzen Raben halten wir die Vermutung für „etwas wahrer“.
Nun nehmen wir die Vermutung her und formulieren sie entsprechend der Gesetze der Logik um: ‚Alle nicht schwarzen Objekte sind keine Raben.‘ Die Umkehrungsvermutung wird nun beispielsweise auch durch die Beobachtung eines gelben Postautos gestützt, (oder eines anderen nicht schwarzen Objekts, das kein Rabe ist).Wenn aber die Beobachtung des gelben Postautos eine Bestätigung der Umkehrungsvermutung ist, und die Umkehrung logisch äquivalent zur Ausgangsvermutung, dann muss die Beobachtung auch eine Bestätigung für die ursprüngliche Vermutung sein.
Das Paradoxe daran: Die Beobachtung eines gelben Postautos ist eine Bestätigung der Vermutung, dass alle Raben schwarz sind. In diesem Fall haben wir es mit einer semantischen Paradoxie zu tun, die sich aber möglicherweise auflösen lässt durch eine genauere Unterscheidung der Bedingungen, unter denen das Paradoxon überhaupt entsteht.
In den Naturwissenschaften haben sich Paradoxien als Steine des Denkanstoßes herausgestellt: Hier ist der Widerspruch zwischen Vorhersage und Beobachtung die Widerlegung einer Theorie und damit der Ausgangspunkt für die Entstehung einer neuen Theorie. In Politik, Ethik und Moral zeigen Paradoxien die Grenzen des auf eine herkömmliche Art Begründbaren auf und begründen damit ihrerseits die Einführung neuer Begrifflichkeiten, Methoden und Paradigmen.
Andere Paradoxa, aus verschiedenen Quellen zusammengestellt
Das einfachste Paradoxon:
"Dieser Satz ist falsch."
Das Paradoxon des Lügners
"Epimenides, der Kreter, sagt: alle Kreter sind Lügner,"
Das Allmachtsparadoxon
Ein allmächtiger Gott muss ein Hindernis errichten können, das er selbst nicht überwinden kann.
Ein allmächtiger Gott muss ein Hindernis errichten können, das er selbst nicht überwinden kann.
Die Russelsche Antinomie Georg Cantor,
der Schöpfer der Mengenlehre, hatte den Begriff der Menge folgendermaßen definiert: "Eine Menge ist
eine Zusammenfassung bestimmter, wohlunterschiedliche Dinge unserer Anschauung oder unseres Denkens, welche Elemente der Menge genannt werden, zu einem Ganzen." Sei nun M die Menge aller Mengen, die sich nicht selbst als Element enthalten. Diese Definition einer Menge M ist paradox, denn ist M ein Element von M, dann darf M sich nicht selbst enthalten, also wäre M kein Element von M. Und wäre M nicht in M enthalten, dann wäre M eine Menge, die sich nicht selbst enthält, was bedeutet, das M Element von M sein muss, also sich selbst enthalten muss.
Das Pfeilparadoxon (nach Zenon, 5.Jh. v.u.Z.)
In jedem Augenblick nimmt ein fliegender Pfeil einen genau bestimmten Ort ein. An diesem einen Ort befindet der Pfeil sich in Ruhe, denn an einem Ort kann er sich nicht bewegen. Damit befindet er sich aber an jedem Ort in Ruhe, egal wo er sich befindet. Er befindet sich also ständig in Ruhe, kann sich also auch in Gänze nicht bewegen. Paradox ist, dass wir Pfeile sich bewegen sehen.
Achilles und die Schildkröte (Zenon) Achilles und eine Schildkröte laufen um die Wette. Die Schildkröte erhält einen Vorsprung. Zenon argumentiert, dass Achilles zunächst den Punkt erreichen muss, an dem die Schildkröte gestartet ist. Bis zu diesem Zeitpunkt wird sich die Schildkröte bereits weiter vorwärts bewegt haben. Bis Achilles die Strecke zu diesem Punkt zurückgelegt hat, wird die Schildkröte zu einem anderen Punkt vorgerückt sein usw. An keinem dieser so definierten Zeitpunkte wird Achilles die Schildkröte eingeholt haben. Also wird Achilles die Schildkröte nie einholen.
Das Rabenparadoxon (Hempel)
Wir beobachten Raben und stellen fest, dass alle Raben die wir bisher gesehen haben schwarz sind. Wir formulieren die Vermutung 'Alle Raben sind schwarz'. Ab jetzt wird jede Beobachtung eines schwarzen Raben als eine Bestätigung dieser Vermutung gewertet. Nun nehmen wir die Vermutung her und formulieren sie entsprechend der Gesetze der Logik um: 'Alle nicht schwarzen Objekte sind keine Raben.' Wir beobachten ein Postauto, dieses ist gelb. Wir haben ein nicht schwarzes Objekt beobachtet. Da dieses kein Rabe ist, haben wir eine Bestätigung der logischen Umkehrung der Vermutung, dass alle Raben schwarz sind, und damit auch der Vermutung, dass alle Raben schwarz sind. Die Beobachtung eines gelben Postautos bestätigt also die Vermutung, dass alle Raben schwarz sind!
Das Olbers‘sche Paradoxon
Das Olberssche Paradoxon ist nach dem Astronomen Heinrich Wilhelm Olbers benannt, der es (nicht als erster) im frühen 19. Jahrhundert formuliert hat. Er beschäftigte sich mit der Frage, warum der Nachthimmel dunkel ist, obwohl das Universum mit unendlich vielen Sternen gefüllt zu sein scheint. Eine Berechnung der Helligkeit des Nachthimmels unter Berücksichtigung von Annahmen über das Universum, die damals gängig waren, führte zum Ergebnis, dass der Nachthimmel eigentlich hell erleuchtet sein müsste – überall müssten Sterne zu sehen sein!
Das Braess-Paradoxon
Das Braess-Paradoxon beschreibt ein kontraintuitives Phänomen, welches in Verkehrsnetzen mit egoistischen Nutzern auftreten kann. Es besagt, dass das Hinzufügen einer neuen Straße zu einem Verkehrsnetzwerk unter bestimmten Umständen zu längeren Reisezeiten für alle Nutzer führen kann. Beobachtet wurde es an verschiedenen Orten der Welt in der Verkehrsplanung, es taucht auch in Computer-Netzwerken auf.
Das Uhrenparadoxon
Das Uhrenparadoxon oder auch Zwillingsparadoxon ist eine Vorhersage der speziellen Relativitätstheorie. Nach dieser vergeht für Reisende auf verschiedenen Wegen, die den gleichen Anfangs- wie Endpunkt haben (zeitlich und örtlich) die Zeit schneller auf kürzeren Wegen. Die längste Zeit vergeht also für diejenigen, die am Ort geblieben sind.
Das Paradoxon der progressiven Einkommensteuer
Eine „linke“ Regierung hat üblicherweise das Ziel, das Einkommen umzuverteilen zu Gunsten der Einkommensschwachen und zu Lasten der Einkommensstarken. Eine linke Regierung steht nun vor folgendem Paradox: das Maximum der Einnahmen aus einer progressiven Einkommensteuer (bei insgesamt gleichem Gesamteinkommen) wird erzielt bei maximal ungleich verteiltem Einkommen, bei maximal gleich verteiltem Einkommen dagegen ist das Einkommensteueraufkommen ein Minimum. Diese Eigenschaft ist für eine progressive Einkommensteuer notwendig. Greift die Regierung also zu Maßnahmen, die zu einer gleicheren Verteilung des (Brutto) Einkommens ohne direkte Bezuschussung der Individualeinkommen führen, sinkt das Einkommensteueraufkommen und ein Haushaltsloch entsteht. Eine „rechte“ Regierung hat dieses Problem nicht.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen